Röslers hübscher Florettstoß gegen Kanzlerin Merkel
Sonntag, 25. September 2011, 01:59
Abgelegt unter: Allgemein

Noch hält eine Mehrheit in Union und FDP den Euro-Rettungsschirm für wichtig und richtig. Doch selbst im Kabinett Merkel gibt es deutliche Absatzbewegungen.Da ist also der Deutsche, der eine Pleite Griechenlands ins Spiel gebracht hat. Rund 50 Journalisten drängeln sich im italienischen Wirtschaftsministerium vor dem Saal, in dem Philipp Rösler gleich eine Pressekonferenz geben wird.Seit seinem Gastbeitrag bei „Welt Online“ ist der deutsche Wirtschaftsminister auch in Italien ein viel beachteter Besucher. Was Rösler mit seinen Aussagen über die Staatsinsolvenz bezweckt habe, will eine TV-Korrespondentin von Sky News Italia von den mitgereisten deutschen Journalisten wissen. „Und Merkel sauer?“, fragt sie. „Schäuble auch sauer?“Das kann man wohl sagen, aber wird hier nicht zum Thema. „Ich bin dankbar für die Diskussion“, sagt Rösler zum Griechenlandstreit in der Koalition. Der wird in Italien, das ebenfalls mit einer Schuldenkrise kämpft, genau registriert.Lesen Sie auch: Dobrindt wirft Linkspartei schäbige Haltung zum Papstbesuch vorNach dem Treffen mit seinem Amtskollegen Paolo Romani sah Rösler keinen Anlass, seine Aussagen zurückzunehmen. „Ich muss das tun, was ich für richtig halte“, sagte er stattdessen.Er habe eine Vision für Europa aufgezeigt. Denn die Menschen wollten zu Recht wissen, wohin es in Zukunft mit der Währungsunion gehe. Das ist offenbar Röslers Verteidigungslinie: Er spricht nur aus, was sich ohnehin alle denken.Denken lassen, denken dürfen und selber denken steht derzeit an der Spree hoch im Kurs, auch bei Angela Merkels Vertrauten. „Das schöne Lied ,Die Gedanken sind frei’ zeigt schon, dass es nirgends auf der Welt Denkverbote geben kann“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert auf eine Journalistenfrage zu Philipp Röslers abweichender Position im Streit über Griechenland.Merkel selbst, fügte Seibert hinzu, habe das Lied kürzlich am Mauerdenkmal in Berlin mitgesungen. „Rösler war bei dem Termin nicht dabei. Aber er kennt das Lied mit Sicherheit – und glaubt auch daran.“Gleich drei Minister haben sich diese Freiheit genommen – FDP-Chef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler, Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (ebenfalls FDP) sowie Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU). Sie haben – Rösler bei „Welt Online“, Leutheusser in den „Ruhr-Nachrichten“, Ramsauer in der „Zeit“ – der Bundeskanzlerin beim Umgang mit Griechenland offen widersprochen.Am weitesten ging Ramsauer. Er sagte nicht nur, die Verhinderung einer Zahlungsunfähigkeit Griechenlands um jeden Preis heiße, „dass man das Land immer weiter mit frischem Geld versorgen würde, egal, was dort passiert oder eben nicht passiert“.Verhindert Merkel den Bankrott um jeden Preis? Das Parlament, sagte Ramsauer, verliere Kontrollmöglichkeiten. Ramsauer sagte auch, ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone sei kein „Weltuntergang“. Von einem Austritt Griechenlands hatten selbst die FDP-Politiker nicht gesprochen.Die CSU mit ihrer Witterung für Stimmungslagen setzt sich in ihrem Bemühen, die inzwischen wieder recht guten bayerischen Umfragewerte der CSU nicht zu gefährden, am weitesten von Merkel ab. Subtil am kräftigsten aber tritt Philipp Rösler der Kanzlerin in Rom ans Schienbein.Auf die Frage, was er zum Rüffel der Kanzlerin wegen der Insolvenz-Diskussion sage, antwortet der deutsche Wirtschaftsminister: „Ich habe sie so verstanden, dass sie vorsichtig ist mit Äußerungen in der Sache.“ Das war ein hübscher Florettstoß.Denn Merkel hatte natürlich nicht ihre eigenen Einlassungen zum Thema gemeint, sondern die Äußerungen Röslers. Dieser schließt in Rom das Thema Vorsicht in der Sache mit dem freundlichen Satz ab, alles Weitere müsse man die Kanzlerin fragen.Ob nur die Kanzlerin zu antworten befugt sei, darüber gehen die Meinungen freilich inzwischen weit auseinander. Eine stetig wachsende Zahl von Abgeordneten der Regierungsparteien hält das Ja oder Nein zur Erweiterung des Euro-Schutzschirms inzwischen für eine Gewissensfrage.Das sagen sie auch, und diejenigen, die den Kurs Merkels mittragen, registrieren es mit wachsendem Ingrimm. Ruprecht Polenz, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, sagte „Welt Online“: „Das viele Gerede vor der Entscheidung über den Euro-Rettungsschirm tut der Sache nicht gut – hier geht doch sehr viel durcheinander. Nicht nur die hohen Schulden, die auch mich umtreiben, sind eine Gewissensfrage. Eine Frage des Gewissens ist vielmehr auch, dass wir Europa nicht aufs Spiel setzten wollen und damit alles, was wir in den vergangenen sechzig Jahren erreicht haben.“Die Dimensionen müssten gewahrt bleiben. „Wir machen uns um die Schuldentragfähigkeit von Bremen auch nicht solche Sorgen.“ Aus der Fraktion ist zu hören, dass es zwischen Befürwortern und Gegnern des am 29.September zur Abstimmung kommenden Euro-Schutzschirmgesetzes mitunter zu heftigen Wortwechseln auf halböffentlicher Bühne komme, nämlich in der Fraktionssitzung.Der Beifall derer, die Merkels Kurs tragen, soll vernehmbar stärker sein als der Applaus für die Kritiker. Das lässt sich schwer überprüfen, aber es ist unverkennbar, dass die Nerven angespannt sind. Es gibt Hinweise, denen zufolge die Koalition die sogenannte „Kanzlermehrheit“ bei der Abstimmung nicht mehr anstrebt.Eine Kanzlermehrheit ist die im Grundgesetz vorgeschriebene Mehrheit unter den Mitgliedern des Bundestages zur Wahl eines Bundeskanzlers. Sie umfasst 50 Prozent plus eine Stimme aller in den Bundestag gewählten Abgeordneten – im Gegensatz zur einfachen Mehrheit, die 50 Prozent aller bei der Abstimmung anwesenden Abgeordneten umfasst.Angela Merkel hatte angestrebt, das prestigeträchtige Kanzlerquorum auch tatsächlich zu erreichen, um so ihre Position im europäischen Konzert zu stärken. Derzeit aber sieht es so aus, als habe die Regierungskoalition Probleme, diese Mehrheit für sich zu mobilisieren.Ruprecht Polenz sagt: „Ich gehe von einer breiten Mehrheit bei der Abstimmung aus und denke, wir werden auch die Kanzlermehrheit erreichen.“ Andere äußern sich abseits eines Mikrofons pessimistischer.Philipp Rösler, der die schwelende Debatte mit seinem Beitrag bei „Welt Online“ hat hell auflodern lassen, hält sich in Rom mit Prognosen zurück und möchte lieber über die Lage in Italien sprechen, denn die beurteilt er offenbar besser als diejenige in Griechenland.Bei der Pressekonferenz mit Romani richtete Rösler eine Warnung an die Finanzmärkte: „Einen Angriff auf Italien verstehen wir immer auch als Angriff auf die Euro-Zone insgesamt.“ Da klang der Wirtschaftsminister ganz wie der übrige Chor der Euro-Retter.Italien sei ein großartiges Land, und es habe eine starke Volkswirtschaft. Das werden sie in Rom gerne gehört haben. Immerhin kämpft das Land mit einer Arbeitslosigkeit von knapp neun Prozent und einem Schuldenberg von fast 120 Prozent der Wirtschaftsleistung.Italien hat zwar nicht wie Griechenland, Irland und Portugal direkt Rettungspakete von den Euro-Staaten erhalten. Aber es ist ebenfalls auf Hilfe angewiesen. Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft seit Wochen Staatsanleihen am Markt auf, um für Italien die Zinszahlungen einigermaßen erträglich zu halten.Dieser Eingriff ist hoch umstritten. Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat im Gegenzug umfangreiche Sparmaßnahmen zugesagt. Doch es gibt Zweifel, wie ernst er die meint. Immerhin: Das Parlament stimmte dem Sparpaket mit einem Volumen von 45 Milliarden zu, während Rösler mit Romani über die Euro-Krise beriet.Er sei froh, dass die Verabschiedung des Sparpakets gelingen sei, sagte Rösler. „Die hier gezeigte Haushaltsdisziplin ist ein wichtiger Schritt Richtung Stabilitätsunion“, fügte er hinzu. Er habe hohen Respekt davor, dass man dies in Italien innenpolitisch durchgesetzt habe.Rösler war auch aus einem deutschen innenpolitischen Grund erfreut darüber. Stabilitätsunion – diesen Begriff hat Rösler vor einigen Monaten geprägt. Damit will er beschreiben, wofür die FDP in der Europa-Diskussion steht.Und er registriert zufrieden, dass auch die Kanzlerin das Wort mittlerweile gerne nutzt. Seine Gedankenspiele zur geordneten Insolvenz, oder „Resolvenz“, so die nächste Röslersche Wortschöpfung, ist allerdings noch kein gemeinsame Vokabel der schwarz-gelben Koalition geworden.


Keine Kommentare bisher • RSS-Feed für KommentareTrackBack URI

Hinterlase deinen Kommentar!



Einen Kommentar hinterlassen