Swiss Paradise: Ein autobiographischer Bericht [Gebundene Ausgabe]
Dienstag, 6. September 2011, 09:24
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Paradies mit Anführungszeichen «Swiss Paradise» – ein Bericht von Rolf Lyssy Biographische Studien sind rar im Schweizer Film, autobiographische erst recht. Am ehesten versuchen Filmschaffende naheliegenderweise, Eigenes filmisch umzusetzen. So weckt denn ein geschriebenes Selbstzeugnis wie «Swiss Paradise» doppelt Interesse. Bei Rolf Lyssys «autobiographischem Bericht» kommt hinzu, dass sich das Buch einer eigentlichen, das Wort ist hier erlaubt, existenziellen Krise verdankt. Den Titel ironisch zu lesen, liegt nahe bei Rolf Lyssy, der seine Darstellungen schweizerischer Befindlichkeiten bevorzugt ins Gewand der Komödie kleidet. Aber den Gehalt dieses Berichts macht gerade aus, dass er nicht bei der ironischen Tonlage stehenbleibt. «Swiss Paradise», das war zunächst einmal der Arbeitstitel für ein in den USA angesiedeltes Filmprojekt, das, «zwanzig Jahre danach», humorvoll-kritisch einige Figuren und Themen aus «Die Schweizermacher» aufnehmen sollte. Auch wenn Emil nicht mehr dabei sein würde, durfte sich der Filmemacher gewisse Chancen ausrechnen, an den enormen Erfolg des Films von 1978 anknüpfen zu können. Doch das Projekt kam nicht zustande – Anlass für Lyssy, der dabei auch auf ausreichend einschlägige Erfahrung aus früheren Projekten zurückgreifen kann, dem Gegenstand einen weiteren ironisch-sarkastischen Aspekt abzugewinnen: die Gegebenheiten, unter denen Filmschaffende hierzulande arbeiten müssen, ohne Industrie und mit vergleichsweise kümmerlichen Subventionen. Die dritte Bedeutungsebene des «Paradieses Schweiz» hingegen formuliert mit ihren biographisch-zeitgeschichtlichen Bezügen auf eindrückliche Weise Bitterkeit ebenso wie Dankbarkeit. Hier finden sich die substanziellsten Passagen des Buchs, das Polemik nicht scheut, dessen Absicht jedoch Selbstergründung ist. Man merkt dem Buch an, dass Lyssy ein geübter (Drehbuch-)Schreiber ist. Da wird mit Sinn für Dramaturgie und Effekte erzählt, das Ganze in einem leicht lesbaren Stil gehalten – der dann die Gefahr nicht überall vermeidet, in etwas unverbindliche Plauderei abzugleiten. Das fällt natürlich um so mehr auf, als das Buch von einer schweren Depression handelt, in die der Autor vor drei Jahren verfiel, als die Schicksalsschläge nur so auf ihn niederprasselten: das Scheitern des Projekts «Swiss Paradise» (für das Lyssy selbstkritisch nicht nur das Förderungssystem und die Unfähigkeit seines Produzenten, sondern auch erhebliche Drehbuchmängel verantwortlich macht), der Umstand, dass ihn seine Frau verliess (die nun als Verlegerin des Buchs fungiert), schliesslich ein schwerer Sturz in der Wohnung. Nun ist der «Bericht» aus der Nervenklinik gewiss Ausdruck der Heilung, Aufatmen ob des gewichenen Drucks. Dennoch mag einem die Krankengeschichte mitunter etwas glatt erzählt scheinen, kann der Versuch, das Gefühl der Ausweglosigkeit in der Depression zu beschreiben, in der x-ten Wiederholung zum nur noch geschwätzigen Leerlauf geraten. Auch «theoretischere» Überlegungen wie diejenigen über Verdrängung gehören nicht zu den Stärken des Buchs. Mit Interesse nimmt man aber Rolf Lyssys Bemerkungen zum Schweizer Film zur Kenntnis, für den er sich filmpolitisch während Jahrzehnten eingesetzt hat und dem er gewiss zu Recht dessen Aversion gegenüber Komödien vorhält. Seine alte Lust an der Polemik blitzt dort auf, wo er die «helvetische Filmszene» als «medioker und von teilweise nicht zu überbietender Bedeutungslosigkeit» bezeichnet, wie sie ihrem «fröhlichen, unbeschwerten Selbstverwirklichungszeitvertreib mit hohem Kunstanspruch» fröne. Da das Buch betont die subjektive Sicht des Autors vermittelt, dürfen wir hier vielleicht im Sinn einer kleinen «objektivierenden» Ergänzung nachtragen, dass sein Film «Kassettenliebe» (1981), der angeblich «von der Kritikerzunft gnadenlos verrissen» wurde, in diesem Blatt sogar eine ausgesprochen wohlwollende Würdigung erfuhr . . . Das eigentliche Ereignis dieses durchaus mutigen Buchs liegt jedoch anderswo: in den knapp vierzig in enger Kursivschrift bedruckten Seiten, die der «Das war mein Leben» überschriebene «Bericht» nun von Rolf Lyssys Mutter einnimmt. Die Lebensgeschichte dieser russisch-baltisch-deutschen Jüdin, die auf der Flucht vor den Nazis 1935 in die Schweiz kam, wird ihrem im Jahr darauf in Zürich geborenen Sohn zum Anlass, seinerseits seine «jüdische Existenz» in diesem Land zu reflektieren. Eindringlich stellt er auch die recht verwickelten Lebensumstände in Bezug auf seinen in Israel lebenden Halbbruder dar, berührend ist die «Ehrenrettung» des Vaters. Das Buch endet, nachdem sich die Depression «innerhalb von knapp zwei Wochen davongeschlichen [hatte], wie ein feiger Dieb», mit einer Liebeserklärung an Catherine Deneuve, neben die Lyssy anlässlich einer Gala am Filmfestival Venedig zu sitzen kommt und die, während er noch schwankt, ob und wie er sie denn ansprechen solle, auf Nimmerwiedersehen entschwindet. Was den Rezensenten daran erinnert, wie einst, vor zwanzig Jahren, im «Excelsior» auf dem Lido die von ihm angehimmelte Monica Vitti in seinen Lift kam, leider in Begleitung, so dass aus dem Ansprechen auch nichts wurde . . . Christoph Egger


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