Der blasse Hund: Erzählungen [Taschenbuch]
Mittwoch, 7. September 2011, 17:52
Abgelegt unter: Haustiere

Lesezeichen Übersetzer der grossen Gefühlslagen Der früheste Böll Plötzlich ist da wieder dieser schmale dunkelgrüne Leinenband wie vor sehr vielen Jahren, als Heinrich Bölls erste Romane bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Das Buch scheint sich in die Neuerscheinungen verirrt zu haben, denn noch immer hat es etwas von Frühzeit und Kargheit, von den deutschen fünfziger Jahren, als ein Band mit Erzählungen immer ein Band mit knappen Erzählungen war, ein gut abgepackter Leseproviant, sättigend. Die frühen Erzählungen Bölls machten mit ihrer Nahrhaftigkeit Geschichte, als junger Mensch las man sie mit dem absoluten Vertrauen in die Aufrichtigkeit des Erzählers, dessen Terrain eine Kriegswelt war, die man selbst nicht kannte und die, kaum ein paar Jahre vergangen, fremd und fern blieb. Bei Böll aber wurde dieser Krieg lebendig, er bekam etwas von existentieller Härte, als sei er geführt worden, um Soldaten auf innere Bewährungsproben zu stellen. Bölls frühe Literatur trotzte dem Krieg etwas ab, so konnte man sich auf alle diese finsteren Szenen, die man nicht gern in aller Ausführlichkeit kennenlernen wollte, noch einlassen. Liebebedürftiger Erzähler Der neue Böll-Band, eine Zusammenstellung von unveröffentlichten Erzählungen aus dem Nachlass, ist so etwas wie ein Band der kleinen Skizzen und Vorstudien, der dem heutigen Leser, der seinen Böll kennt und ihm vieles verzeiht, die Entwicklung dieses spröden und doch so liebebedürftigen Erzählers dokumentiert. Man bekommt etwas mit von seinem Weg, man wirft einen Blick auf seine Anfänge, und man erkennt, wie die Stimmungen sich klären und die Figuren etwas Härteres bekommen, ein Profil. Denn in seinen Anfängen, als kaum Zwanzigjähriger, war dieser Heinrich Böll ein glühender, hocherregbarer Übersetzer der grossen Gefühlslagen und der schwierigen Beichten. In den Dunkelzonen dieser Extreme gibt es bedrohliche, lockende Gestalten, fast immer sind es Frauen, Verkörperungen «des Weibes», das den Männern den Verstand raubt und ihnen an der nächstbesten Höllentür aufwartet. Viel, reichlich viel innerer Katholizismus wird aufgeboten, um diese Weibsattacken zu bekämpfen, auch Kapläne, Pastoren und Möchtegerngeistliche stehen bereit, verrichten jedoch wenig, da das Männliche eine Reinheit anstrebt, die selbst über eine katholische noch hinausgeht. Nach den langen Kriegsjahren schienen die gefühligen, frei wuchernden und noch unkontrollierten Momente dieser Männer-Ästhetik verschwunden zu sein, deren eigentlicher Kern die Marien-Gestalt ist, etwas Leuchtendes, Unberührtes. Solche Frauen treten auch in den Nachkriegsgeschichten noch auf, aber sie treffen jetzt auf Mannsbilder, die sich das innere Schwärmen versagen. Der Krieg hat sie reduziert, es sind karge Existenzen geworden, deren Schwärmereien an der Leere der Welt zerbrechen. Auch für diese kargen Existenzen baut Böll jedoch eine Art von Sinnlichkeit auf, es wird viel geraucht, mit grossem Genuss, Kaffee steht bereit, manchmal auch weisses, duftendes Brot, gebrochen und verteilt wie bestes Bibelangebot. Überall gibt sich diese Sinnlichkeit bescheiden, elementar, wie auch in den sozialen Atmosphären oft etwas von einem Arme-Leute-Stolz durchschimmert, eine selbstgewisse Unverletzlichkeit gegenüber einer Welt, die meist nur damit beschäftigt ist, ihre dreckigen Geschäfte zu machen. An den Dingen bleibender Ton Die krassen Gegensätze, die Böll dabei aufbaut, erscheinen einem heute überzeichnet und beinahe gewaltsam auf die Figuren gedrückt. Der gute Erzähler zeigt sich eher da, wo er solche Grobheiten ganz zurücknimmt und in jenem leisen, an den Dingen bleibenden Ton zu sprechen beginnt, der bald einen eigenen Rhythmus entfaltet. Die Erzählung «Das Rendez-vous» beginnt so: «Ich ging sehr früh zum Kai, um sie abzuholen. Es regnete in Strömen, schon seit Tagen. Der Boden der Promenade war aufgeweicht, und die Blätter faulten in den Pfützen. Jetzt schon – Mitte August – war der Geruch von Herbst in den Bäumen, die Terrassen der Cafés waren leer geräumt, die weissen Tische und Stühle aufgestapelt und hastig mit Segeltuch überworfen . . .» So etwas ist bester Böll, ein ruhiges Schauen, ein Sinn für minimale sprachliche Valeurs, eine Sinnlichkeit, die das Weiche der Eindrücke in einfache, haltende Satzbauten überträgt. Böll aber war in seinem literarischen Anspruch zu unruhig und von seinen frühsten Extremen zu gezeichnet, um diese gelassene Dichte beizubehalten. Sobald sich diese Unruhe zu regen beginnt, bekommen seine Gestalten etwas von Vergrösserungen, sie wachsen über ihre Umgebungen hinaus und werden gleichzeitig gröber: «Er zog langsam die Schuhe an, die unter dem Schrank gestanden hatten, als hätten sie auf ihn gewartet . . . er schauderte, schauderte . . . und ein wilder, wilder Schrecken hinderte ihn, sich umzuwenden; niemals, niemals war er so im Elend gewesen wie in dieser kalten Nachtstunde, die aller Zärtlichkeit des Tages und des Abends zu spotten schien . . .» Die Kriegsereignisse haben Böll, das zeigen diese frühen, sehr aufschlussreichen Skizzen, zu einer bitteren Härte, nahe der Verzweiflung, getrieben. Seine Jungmännerästhetik blieb dadurch meist verborgen. Dass sie jedoch nicht aufgegeben, sondern nur in den Hintergrund gedrängt war, beweist Bölls spätere Entwicklung. Zeit seines Lebens blieb er einer der jugendlich «Brennenden», die seine früheste Erzählung zusammenführt. Auch heute noch nehmen wir ihm dieses Brennen ab, obwohl die katholischen Riten, die es begleiten, einem ganz zeitfern erscheinen. Doch Bölls Terrain ist nicht nur ein literarisches, es ist eher das der Jugendsünden, an denen man hängt und die man ihm und sich selbst vergibt. Hanns-Josef Ortheil
— Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.


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