Trifft dieses Gedicht heute noch den Nagel auf den Kopf, oder was hat sich inzwischen geändert?
Freitag, 9. April 2010, 11:01
Abgelegt unter: Regierung

Finanzkrise
Wenn die Börsenkurse fallen,
regt sich Kummer fast bei allen,
aber manche blühen auf:
Ihr Rezept heißt Leerverkauf.
Keck verhökern diese Knaben
Dinge, die sie gar nicht haben,
treten selbst den Absturz los,
den sie brauchen – echt famos!
Leichter noch bei solchen Taten
tun sie sich mit Derivaten:
Wenn Papier den Wert frisiert,
wird die Wirkung potenziert.
Wenn in Folge Banken krachen,
haben Sparer nichts zu lachen,
und die Hypothek aufs Haus
heißt, Bewohner müssen raus.
Trifft’s hingegen große Banken,
kommt die ganze Welt ins Wanken –
auch die Spekulantenbrut
zittert jetzt um Hab und Gut!
Soll man das System gefährden?
Da muss eingeschritten werden:
Der Gewinn, der bleibt privat,
die Verluste kauft der Staat.
Dazu braucht der Staat Kredite,
und das bringt erneut Profite,
hat man doch in jenem Land
die Regierung in der Hand.
Für die Zechen dieser Frechen
hat der Kleine Mann zu blechen
und – das ist das Feine ja –
nicht nur in Amerika!
Und wenn Kurse wieder steigen,
fängt von vorne an der Reigen –
ist halt Umverteilung pur,
stets in eine Richtung nur.
Aber sollten sich die Massen
das mal nimmer bieten lassen,
ist der Ausweg längst bedacht:
Dann wird bisschen Krieg gemacht.
Kurt Tucholsky
1930 veröffentlicht in „Die Weltbühne“


5 Kommentare bisher • RSS-Feed für KommentareTrackBack URI

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  • sozialge sagt:

    Aber den echten können wir auch lesen:
    Erich Kästner: Knigge für Unbemittelte
    Ans deutsche Volk, von Ulm bis Kiel:
    Ihr esst zu oft! Ihr esst zu viel!
    Ans deutsche Volk, von Thorn bis Trier:
    Ihr seid zu faul! Zu faul seid ihr!
    Und wenn sie auch den Lohn entzögen!
    Und wenn der Schlaf verboten wär!
    Und wenn sie euch so sehr belögen,
    dass sich des Reiches Balken bögen!
    Seid höflich und sagt Danke sehr.
    Die Hände an die Hosennaht!
    Stellt Kinder her! Die Macht dem Staat!
    Euch liegt der Rohrstock tief im Blut.
    Die Augen rechts! Euch geht’s zu gut.
    Ihr sollt nicht denken, wenn ihr sprecht!
    Gehirn ist nichts für kleine Leute.
    Den Millionären geht es schlecht.
    Ein neuer Krieg käm ihnen recht,
    So macht den Ärmsten doch die Freude!
    Ihr seid zu frech und zu begabt!
    Seid taktvoll, wenn ihr Hunger habt!
    Rasiert euch besser! Werdet zart!
    Ihr seid kein Volk von Lebensart.
    Und wenn sie euch noch tiefer stießen
    und würfen Steine hinterher!
    Und wenn Sie euch verhaften ließen
    und würden nach euch Scheiben schießen!
    Sterbt höflich und sagt Danke sehr.
    Ist doch auch noch zeitgemäß

  • quatronu sagt:

    Das war nicht Tucholsky und das war nicht 1930…
    Der eigentliche Autor des Gedichtes scheint ein gewisser Richard G. Kerschhofer zu sein, der den Text unter dem Pseudonym Pannonicus und dem Titel “Höhere Finanzmathematik” wohl zuerst hier veröffentlicht hat.

  • John D sagt:

    Du bist ein wenig hinter dem Mond, gell?
    Inzwischen weiß jedes aufgeweckte Schulkind, dass das nicht von Tucholsky ist und nie in der Weltbühne stand, sondern das Werk eines Anonymus aus dem Jahr 2008.

  • Kapaun sagt:

    Die derzeitige Finanzkrise ist kein Produkt von Leerverkäufen, sondern von zu leichtsinnig vergebenen Krediten. Und gegen wen sollten wir Krieg führen? Gegen Obama? 😀

  • Peter K sagt:

    Keinesweg ein Gedicht von Kurt Tucholsky.
    Ansonsten sind gewisse Paralellen zur heutigen Situation nicht von der Hand zu weisen.



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