Merkels Regierung droht am Euro zu zerbrechen
Sonntag, 25. September 2011, 01:55
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Der Kampf um die Erweiterung des Euro-Rettungsschirmes: 25 Parlamentarier von Union und FDP verweigern die Gefolgschaft. Die Zahl der Gegner ist noch größer.Wolfgang Schäuble spricht erst eine Minute, da stört ihn der erste hämische Zwischenruf. Der Bundesfinanzminister eröffnet gerade die Haushaltsdebatte, referiert über die Turbulenzen an den Finanzmärkten, über die Schuldenkrise in Europa und mahnt entschlossenes Handeln an.Da unterbricht ihn der SPD-Fraktionsvize Joachim Poß: „Gestern Abend hat das bei Ihnen nicht geklappt.“ Schäuble schaut auf. Natürlich weiß er sofort, worauf die Spitze abzielt.Am Montagabend hatte die Unionsfraktion zum ersten Mal über die Ausweitung und des Euro-Rettungsschirmes abgestimmt: Immerhin zwölf Abgeordnete votierten dagegen. Sieben weitere enthielten sich.Kaum ausgezählt, verbreitete sich die Nachricht über SMS in Sekunden im politischen Berlin. Und mit ihr ein böses Gerücht: Zusammen mit zwei Nein-Stimmen und vier Enthaltungen aus der FDP-Fraktion, die wenig später in Kenntnis der Unionszahlen abstimmte, hätte die Koalition keine eigene Mehrheit im Bundestag: Schwarz-Gelb wäre bei der Euro-Rettung – der zentralen Aufgabe dieser Legislaturperiode – nicht mehr ohne die Opposition handlungsfähig. Dies wäre das politische Aus.Die Führung der Union reagierte geschockt. Man hatte mit deutlich weniger Widerstand gerechnet. Sofort begann man, die Abweichler zu bearbeiten.Ministerpräsidenten, die wegen der Gremiensitzung am Morgen noch in der Hauptstadt waren, ließen Abendtermine absagen oder verließen Veranstaltungen früher, um zu den an diesem Abend tagenden Landesgruppensitzungen ihrer jeweiligen Abgeordneten zu eilen.Die Kanzlerin konnte ihre Verabredung weder beenden noch abkürzen: Sie hatte ausgerechnet Herman Van Rompuy zu Gast: Der Belgier verdankt Merkel seinen Posten als EU-Ratspräsident und soll, wenn es nach der Kanzlerin geht, auch die Wirtschaftsregierung des Euro-Raumes leiten.Beim Abendessen im Kanzleramt versicherte Merkel ihrem Gast, Deutschland werde die von den Regierungschefs bereits vor Wochen in Brüssel getroffenen Vereinbarungen einhalten.Die Frage ist nur: Halten sich auch die Länder, die Hilfen bekommen sollen, an Vereinbarungen? Hier hatte die Bundeskanzlerin nach Angaben von Teilnehmern der Fraktionssitzung schon einmal überzeugter gewirkt. „Fragil“ sei die Lage, sagte Merkel mit Blick auf das neue südeuropäische Sorgenkind: „Aus Italien gibt es leider überhaupt keine guten Nachrichten“.Tatsächlich hatte die dortige Regierung ein angekündigtes Sparpaket in substanziellen Teilen zurückgenommen. So etwas soll künftig nicht mehr möglich sein. Es sei „unabdingbar“, so Merkel in der Fraktion, möglichst bald „unmittelbare Durchgriffsrechte“ zu bekommen.Die ist freilich noch Zukunftsmusik. Und so stellt sich den Abgeordneten die Lage so dar: Italien will nicht sparen. Griechenland kann vielleicht gar nicht mehr sparen. Vor allem solche Hiobsbotschaften aus dem Süden werden es der Führung schwer machen, die skeptischen Volksvertreter zu überzeugen.Darunter sind mit Manfred Kolbe und Klaus-Peter Willsch Abgeordnete, die sich bereits vorherigen Rettungsaktionen verweigert hatten – aber auch andere, die bisher alle Rettungsmaßnahmen mitgetragen haben: Wolfgang Bosbach etwa, der stets loyale Innenpolitiker, oder Philipp Mißfelder, der JU-Vorsitzende, der als Präsidiumsmitglied zur engsten Parteiführung gehört, oder Marco Wanderwitz, der Vorsitzende der „Jungen Gruppe“ der Unionsabgeordneten unter 35.Unklar ist zudem, wie viel Skeptiker noch dazukommen: Der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler etwa fehlte bei der Abstimmung. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier, bemühte sich gestern vergeblich, den Eindruck zu zerstreuen, dass die Führungsspitze sich ernsthafte Sorgen macht.„Im normalen Bereich“ sei die Ablehnung, meinte er; viele, die gegen die „Einbringung“ des Gesetzes gestimmt hätten, würden im Parlament aus Einsicht in die Fraktionsdisziplin wohl dafür stimmen. Gleichzeitig versuchte Altmaier schon jetzt die Latte tiefer zu hängen: Für eine eigene Mehrheit müsse Schwarz-Gelb doch lediglich mehr Ja-Stimmen aufbringen als die Opposition, rechnete Altmaier vor.Enthaltungen fielen nach dieser Zählung unter den Tisch. Tatsächlich wäre so der Rettungsschirm mit schwarz-gelber Mehrheit verabschiedet. Die „Kanzlermehrheit“ hätte Schwarz-Gelb nach dieser Rechnung bei der zentralen Frage der Legislatur jedoch verfehlt: Soll die altmaiersche Arithmetik jetzt schon auf dieses Szenario vorbereiten?Nicht nur hinter den Kulissen wird nun für die Euro-Rettung geworben. Schäuble nutzte dazu die erste Aussprache über den Haushaltsentwurf für das Jahr 2012 im Bundestag. In bekannter Manier beschwor er die Abgeordneten. Niemand sollte das Glück eines vereinten Europas aufs Spiel setzen, mahnte der CDU-Politiker.„Wir Deutschen haben mit am meisten profitiert.“ Als Exportnation sei Deutschland auf die Gemeinschaftswährung angewiesen. Wenn die Schweiz den Franken nun an den Euro kopple, „sollte das jedem zu denken geben, der glaubt, in Deutschland gäbe es weniger Probleme ohne den Euro“. Da applaudierten auch Sozialdemokraten und Grüne.Schäuble gab aber auch den harten Verhandler. Etwa gegenüber Griechenland, das trotz all der Hilfen seine Sparauflagen nicht einhält. Ende vergangener Woche waren Vertreter von Internationalem Währungsfonds (IWF), EU-Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB) aus Athen abgereist.Eigentlich soll diese Troika das Zahlenwerk der griechischen Regierung kontrollieren. Der Beschluss der Troika-Mission sei für die weiteren Hilfszahlungen notwendig, sagte Schäuble. „Andernfalls kann die nächste Tranche nicht ausgezahlt werden.“ Das müsse auch der Athener Regierung bewusst sein. „Da gibt es keinen Spielraum.“ Die deutliche Ansage Richtung Athen kommt an bei den Abgeordneten von Union und FDP.Verhaltener war der Applaus in den eigenen Reihen bei Schäubles langfristigem Blick in die Zukunft. „Wir müssen die Krise auf der Basis der gültigen Verträge lösen“, sagte er. Aber dauerhaft werde man das Regelwerk ändern müssen.„Wir müssen in Europa voranschreiten, sonst fallen wir zurück.“ Solche Visionen stoßen vor allem bei CSU und FDP auf Vorbehalte. Dort halten einige Abgeordnete wenig von einer Kompetenzverlagerung Richtung Brüssel.Überhaupt muss FDP-Chef Philipp Rösler innerlich einige Mal zusammengezuckt sein bei Schäubles Rede. Etwa als er über die Börsensteuer sprach, von der die Liberalen wenig begeistert sind.Rösler hat die Maxime ausgegeben, dass man eine solche Abgabe höchstens im Rahmen der 27 EU-Staaten umsetzen dürfe, wohl wissend, dass der Finanzplatz London nicht mitmachen will. Schäuble hingegen sagte, man dürfe sich bei der Finanzmarktregulierung nicht von „angeblichen Standortinteressen“ bremsen lassen. „Nicht immer darf der Langsamste das Tempo bestimmen.“Nachgiebiger zeigte sich der Finanzminister beim Thema Steuersenkungen. Die Bundesregierung werde etwas gegen die kalte Progression unternehmen – ein Herzensanliegen der FDP. Schäuble betonte zwar, dass er keinen Spielraum für neue Ausgaben sieht, etwa Konjunkturprogramme.Deutschland müsse „Stabilitätsanker“ in Europa bleiben. Allerdings fielen die Warnungen des Finanzministers trotz der geplanten Neuverschuldung von 27 Milliarden Euro weniger drastisch aus als noch vor einem Jahr: „Wir schwimmen zwar nicht im Geld, aber wir ertrinken auch nicht in Schulden.“Aus der Opposition erhielt Schäuble dafür Kritik. Die Koalition sei eine „Schönwetterregierung“, sagte SPD-Fraktionsvize Poß, und Schäuble ein „Schönredner“ mit einem „Schönwetterhaushalt“. Der Finanzminister profitiere von der guten Konjunktur, treffe aber keine ausreichenden Vorkehrungen für schlechtere Zeiten.


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